Vermissen ist normal
Diese Woche wurde ich als Vertreterin des Wechselmodells in den sozialen Medien ziemlich zerpflückt.
Vorwürfe per Ferndiagnose waren:
- Innere Zerrissenheit des Kindes
- Schaden am Kind
- Das Kind als Möbelstück
- Kindeswohldienlichkeit nicht vorhanden
Und ich würde das Wechselmodell nur eingehen, da es mir die wenigsten Konflikte mit dem Kindsvater beschert und ich würde mir alles schön reden.
Ich möchte mich in diesem Blogbeitrag nicht rechtfertigen. Denn gegen jemanden anzureden, der eine feste Überzeugung von etwas hat, bringt nicht viel. Jeder darf über das Wechselmodell denken was er will.
Vielmehr möchte ich was zum Thema Vermissen schreiben.
Stellt euch vor, ihr seid im Urlaub. Weg vom Alltag. Sonne, Meer oder Berge und euch gehts grad richtig gut. Und ihr wisst, dass ihr morgen wieder nach Hause fahrt. Obwohl ihr gern zu Hause seid und euch darauf freut, könntet ihr gerne noch eine Woche Urlaub dranhängen. Kennt ihr das? Also ich auf jeden Fall! So geht es mir auch, wenn ich zu Besuch bei lieben und vertrauten Menschen bin oder bei meinem Papa in meiner Heimat. Ich freue mich auf mein Zuhause, aber bin traurig, dass die Abreise naht.
Warum sollte man diese Empfindungen und Gedanken und Wünsche nicht auch dem Kind zugestehen? Wenn wir am letzten Abend im Bett kuscheln und ihr die Tränen kommen und sie sagt, sie würde gern noch da bleiben und hätte am liebsten 3 Wochen Mama und 1 Woche Papa. Dieser Wunsch entsteht in diesem Moment, weil er so bedeutungsschwanger ist. Weil er pure Nähe ist, weil es einfach richtig schön ist.
Frage ich meine Tochter an einem anderen Tag, während sie die zwei Wochen bei mir ist, wie es ihr mit dem Wechselmodell geht, dann bekomm ich zur Antwort „gut“. Und ich glaube ihr das, denn das ist es auch, was ich erlebe. Was ihr Vater erlebt, was das Umfeld wahrnimmt, was ihre Psychologin sagt. Matilda geht es gut mit dieser Lösung.
Wenn sie bei mir ist, vermisst sie ab und zu den Papa. Wenn sie beim Papa ist, vermisst sie mich. Matilda vermisst auch ihren Opa und die Stallhasen und ich vermisse meinen Papa auch, den wir viel zu selten besuchen, weil zu weit weg. Zu wenig Geld. Zu wenig Zeit. Ich vermisse meinen Freund, weil noch weiter weg und zu wenig Geld und zu wenig Zeit. Ich vermisse den Sommer, weil jedes Jahr nur zu kurz da. Und meine beste Freundin vermisse ich auch.
Menschen vermissen nun mal. Sie sehnen sich nach etwas, was gerade nicht da ist, einfach weil sie auch gerne daran denken. An etwas Schönes und schöne erlebte Momente. Auch Vorfreude lässt uns vermissen.
Wenn der Papa zu Matilda sagt: „Ich habe eine große Überraschung für dich, wenn du wieder kommst.“ Natürlich hibbelt sie dann dem Moment entgegen. Ich bewerte dies nicht als Taktik, obwohl ich ihm das schon unterstellen könnte. Aber sagt in einer „intakten“ Familie nicht auch der Vater, wenn er auf Geschäftsreise ist, dass er eine Überraschung fürs Kind hat, wenn er wieder kommt? Was ist falsch daran, wenn Kinder sich auf etwas freuen?
Und nein! Ich rede mir das nicht schön. Ich kenne meine Tochter. Wir haben tatsächlich eine sehr gute Bindung zueinander. Wir lieben und vertrauen uns. Und es ist ein großer Vertrauensbeweis, dass sie bei mir ihren Vater vermissen darf.
Dieses Verhalten ist psychisch gesund!
Und ich vermisse Matilda, wenn sie die zwei Wochen bei ihrem Papa ist! Doch ich weiß, dass es ihr dort gut geht. Wir haben per Handy täglich Whats App Kontakt und telefonieren zur Halbzeit.
Wenn wir Kindern das Gefühl mitgeben: „Ja Schatz, ich werde dich vermissen. Aber ich weiß, dass du eine schöne Zeit hast und uns beiden wird es gut gehen, bis wir wieder zusammen sind.“ Dann bekommen auch Kinder ein gutes Gefühl und sie bekommen die Erlaubnis, sich wohlzufühlen. So groß kann meine Wut auf den Ex gar nicht sein, dass ich das meiner Tochter mies machen würde. Schlimmer noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie bei ihm ist und sich darauf freut. Das wäre Folter am Kind.
Nicht die Trennung und der Wechsel sind schädlich, sondern wenn wir als Eltern schuldbehaftet und vorwurfsvoll damit umgehen.
Ein schöner Satz. Der triffts:
„Und es ist ein großer Vertrauensbeweis, dass sie bei mir ihren Vater vermissen darf.“
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Wahre Worte bei denen man merkt um wen es dir bzw. euch geht: Das Kind
Danke!
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Wow! Vielen Dank. Endlich fühle ich mich mal verstanden und nicht schuldig
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Liebe Halbzeit Mama,
ich versteh dich sehr gut. Schuld ist jedoch fehl am Platz – doch ab und zu kommen sie – die Schuldgefühle – bei mir auch! Das haben wir als Mama wahrscheinlich mit in die Wiege gelegt bekommen.
Aber weißt du was das Schuldgefühl mindern wird? Die Sinnfrage! Hatte die Entscheidung der Trennung einen Sinn (für dich// für deinen Partner) ? Hattest du die Entscheidung überhaupt in der Hand? Welchen Sinn macht es Kinder im Wechselmodell zu betreuen? Ich denke, wenn man sich ab und zu die guten Gründe für eine Entscheidung in Erinnerung ruft, dann kann man das Gefühl der Schuld guten Gewissens beruhigen.
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Schön zu lesen, andere haben dieselben Worte. ´Das Leben mit dem Vermissen´. So isses. Alle vermissen, immerzu.
Wir leben mit dem Wechselmodell seit 4 Jahren. Mal besser, mal schlechter. Es gab ja Gründe, dass es zusammen nicht ging; die sind nicht weg. Die Kommunikation ist immer noch schwierig, die Vorstellungen davon, was notwendig und sinnvoll ist und was nicht, liegen weit auseinander.
Und ich erkenne alle Ferndiagnose-Vorwürfe wieder; ich habe sie mir samt und sonders selbst schon gemacht. Laden wir nicht den KIndern auf, was wir selbst nicht hinbekommen? Ist es nicht schlicht der einfachste Weg- halb-halb? Schon! Und trotzdem – es ist der beste Weg, der mir, und uns, derzeit einfällt. Die Alternativen, tausendfach gedanklich durchgespielt, scheinen auch nicht besser.
Nur – eines finde ich fies – die Kinder, stelle ich mir vor, leben zwei Leben. Das als Knirps für sich selbst zusammenzubringen als ´mein´s´, das ist schwer. Meine Kinder sagen ´bei dir´ und ´bei Papa´, selten ´bei uns´. Wo ist ´ihrs´.
An dieser Stelle habe ich ein schlechtes Gefühl, und das geht auch nicht weg. Und irgendwie denke ich ´fair enough´; das ist der Stachel, der wunde Punkt.
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Danke für deine Zeilen. Schön zu hören, dass euer Wechselmodell seit 4 Jahren (mehr oder weniger) gut funktioniert.
Es ist tatsächlich so, dass wir unseren Kindern da einiges abverlangen. Doch das geschieht ebenso in einer konfliktbehafteten „intakten“ Familie, als Alleinerziehende mit abwesenden Vater oder in anderen schwierigen Situationen, in denen wir den Kids nicht die heile Welt bieten können.
Ich bin immer noch der Meinung, dass Pendelkinder in dieser Konstellation als Trennungskinder immer noch am besten „wegkommen“. Und die Liebe & Präsenz beider Eltern wiegt den permaneten Wechsel zwischen zwei „Zuhause“ wieder auf – vorausgesetzt, dass die Kinder nicht zwischen den Eltern zerrissen sind. Aber eben der von dir beschriebene wunde Punkt – der Stachel bleibt. Bei mir fängt dieser bei der Trennung vom KV an. Aber lieber jetzt 4 glückliche & zufriedene Menschen als „Eltern“, als 2 Elternteile die zu zweit unglücklich und destruktiv waren.
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Sagt mal, wenn mein Sohn (6) sich zum Papa verabschiedet, und ich ihm sage, dass ich ihn vermissen werde, sagt er: „Ich bin doch in einer Woche wieder da.“ Ich habe den Eindruck, bei ihm beginnt da bereits das schlechte Gewissen. Er will, dass ich mich gut fühle, wenn er geht, ist mein Gefühl. Ist eher nicht so, dass er sich dann geliebt fühlt, oder? Ich glaube, ich verkneife mir das künftig. Manchmal im Alltag flutscht mir das raus, wenn ich emotional werde, aber bin ich nicht auch Mensch? Darf mein Kind denn gar nicht spüren, dass es mir schwerfällt, ihn gehen zu lassen, und dass ich ihm aber dennoch ganz viel Spaß wünsche? Sollte ich das möglichst unterdrücken? Wie macht ihr das?
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Liebe Franzi, ich kann deine Gedanken dazu sehr sehr gut nachvollziehen. Die Gefühle zu unterdrücken finde ich nicht gut, lieber aussprechen. Aber kindgerecht. Kinder spüren sofort wenn die Worte nicht zur (Abschieds)Stimmung passen und interpretieren die Situation selbstbezogen, heißt; bekommen ein Schuldgefühl. Meine Tochter ist jetzt 11 und wir beide haben gelernt zu sagen, dass wir uns vermissen und dass wir uns trotzdem eine schöne Zeit wünschen. Im Grundschulalter lernen die Kinder besser zu differenzieren. Das man beides fühlen kann/darf und trotzdem ok ist. Vermissen aber auch Freude. Ich habe es eine zeitlang so gemacht: „Freu mich schon, wenn du wieder da bist. Bis dahin mache ich dies und jenes.“ Wenn Kinder das Gefühl haben, die Mama sitzt nicht alleine und traurig auf der Couch und vermisst das Kind, sondern hat sich viel vorgenommen und auch schöne Dinge geplant hat (Treffen mit einer guten Freundin), dann können Kinder das Elternteil getrost eine Woche „allein lassen“. Hört sich komisch an, ist aber so. Es ist wichtig Kindern die Verantwortung von den Schultern zu nehmen, die sie sich bereits in jungen Jahren selbst aufladen und sagen: „Ja ich vermiss dich, aber ich hab ne gute Zeit und du wirst die auch haben.“ Es wird immer leichter, umso mehr gute Erfahrungen die Kinder sammeln. Ihr seid auf dem richtigen Weg. Alles Liebe für euch!
LG, Annett
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